Das Südbahnhofsviertel

Quelle Kartenausschnitt: Marburg Stadt und Land Tourismus GmbH

Quartier Südbahnhof – ein lebendiges Stadtviertel

Das Quartier rund um den Südbahnhof ist begrenzt von der Straße Am Krekel im Westen, der Südspange im Süden, der Cappeler Straße im Osten und der Konrad-Adenauer-Brücke und einem Fußgängerweg bis zur freien evangelischen Kirche im Norden. Das Stadtgebiet zeichnet sich nicht nur durch seine zentrale Bedeutung für den öffentlichen Nahverkehr der Stadt Marburg aus, sondern ist auch seit je her ein sehr vielseitiges Wohn- und Gewerbegebiet. Auch die Marburger Lokalzeitung „Oberhessische Presse“ mit ihrem Verlag hat hier ihren Sitz.
Das Südbahnhofsviertel ist neben seiner Lage attraktiv und lebendig durch die Vielzahl von Organisationen und durch viele kleine und mittlere Betriebe im Bereich Gesundheit, Bauen und Energie, Dienstleister, Hotel und Gastronomie und die Einzelhandelsgeschäfte, die dort angesiedelt sind.


Entwicklung des Quartiers

Rückblick


Die Informationen des folgenden Rückblicks zur Historie des Quartiers stammen überwiegend aus Erzählungen von Menschen, die im Quartier geboren sind und schon lange hier leben. Das Wohngebiet um den Südbahnhof ist ein vergleichsweise junges Marburger Stadtviertel. Während das Südviertel nach der Übernahme Kurhessens durch Preußen 1866 einen Bauboom erlebte, und im Zuge dessen 1892 mit der Schützenpfuhlbrücke ein zusätzlicher, auch für die Menschen aus dem Ebsdorfergrund und Cappel wichtiger Verkehrsweg über die Lahn entstand, befanden sich auf der anderen Seite der Brücke nur Wiesen und Felder.

Der Südbahnhof wurde 1897 eingeweiht und wurde ab 1905 Start- und Zielhaltestelle der neuen Marburger Kreisbahn zwischen Dreihausen und Marburg Süd mit einem Bahnübergang an der Schützenpfuhlbrücke. Über die Brücke wurde 1936 die Straßenbahnlinie der Strecke Hauptbahnhof–Wilhelmsplatz–Gisselbergerstraße bis zum Südbahnhof verlängert.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es jenseits des Südbahnhofs neben dem Haus der Kreisbahn am Bahnhof nur zwei einzelne freistehende Wohngebäude: das Haus des Malers Bantzer am Rollwiesenweg nahe der heutigen Bantzerstraße und am Anfang der Zeppelinstraße das Haus der Mosterei Kollmar. Die Mosterei besaß hier ein großes Gelände mit Obstbäumen und Beerensträuchern für die Mostherstellung (heute Zeppelinstraße 2a–c und AOK-Gelände). An der Frauenbergstraße entstanden erste Gewerbebetriebe wie die Marburger Molkerei in 1932, zwei große Kornspeicher und zwei Lagerhäuser der Reichswehr sowie drei Häuser für deutsche Offiziere in der heutigen Lessingstraße.
Anfang der 1930er Jahre entstanden dann Wohnhäuser in der Zeppelinstraße und am unteren Rollwiesenweg, der bis dahin nur ein Feldweg zwischen Frauenbergstraße und Cappeler Straße war. Die Familien, die hier einzogen, nutzten die Infrastruktur auf der anderen Seite der Bahnlinie mit den Läden an der Gisselberger Straße und im Südviertel, die Kinder besuchten dort die Südschule (heute Otto-Ubbelohde-Schule). Mit Kriegsbeginn wurde die Bautätigkeit im Quartier weitgehend eingestellt.
Nach Kriegsende mussten die Menschen ihre Häuser am Rollwiesenweg und in der Zeppelinstraße räumen, da dort amerikanische bzw. französische Offiziersfamilien einquartiert wurden. Die amerikanische Armee unterhielt eine kleine Schule für die Kinder der Soldaten in einem Anbau am Bantzerhaus und betrieb eine Nachtbar mit Musik und Tanz auf Höhe der heutigen Ernst-Moritz-Arndt Straße. Die Kinder der französischen Soldaten gingen am Schwanhof zur Schule. Mitte der 1950er Jahre zogen die Armeefamilien in neue Gebäude im Südviertel und die ursprünglichen Bewohner*innen, die im Stadtgebiet und außerhalb Marburgs untergekommen waren, konnten wieder in ihre Häuser zurückkehren. Es entstanden zusätzliche Straßen und viele neue Wohnhäuser und Gewerbebetriebe. Lokale Einkaufsmöglichkeiten gab es dann für das wachsende Quartier in mehreren „Kolonialwaren“-Läden, Bäckereien, einer Metzgerei, einer Apotheke, einem Café und kleinen Geschäften. Zunächst war das Quartier am Südbahnhof zusammen mit dem Wohngebiet oberhalb der Cappeler Straße als Glaskopfgemeinde zusammengefasst. Diese ging später in die Hansenhausgemeinde über. Das Viertel bekam 1954 ein einfaches evangelisches Gemeindehaus, da der Weg für die Gemeindemitglieder zur lutherischen Pfarrkirche sehr weit war. 1963 wurde die evangelische Lukaskirchengemeinde dann selbstständig. In den 1990er Jahren wurde das Gemeindehaus noch einmal umgebaut und es entstand die heutige Lukaskirche, die 1997 eingeweiht wurde. Heute ist sie Predigtstätte und Gemeindehaus der Lukas-Paulus-Kirchengemeinde.

Im Zuge des Ausbaus der Bundesstraße B3a wurde 1969 die Konrad-Adenauer-Brücke gebaut und die Obdachlosensiedlung Am Krekel abgerissen. Die B3a erhielt 1984 eine Abfahrt auf die Schützenpfuhlbrücke, die heute die wichtigste Anbindung des Gewerbegebiets Am Krekel an das Stadtgebiet und wichtige Fußgänger- und Radwegeverbindung zwischen dem Südbahnhof und der Stadt darstellt. Der alte Bahnübergang wurde durch eine Brücke für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen ersetzt, die zunächst nach dem ehemaligen Marburger Oberbürgermeister Karl Theodor Bleek benannt war, aber wegen dessen Nähe zum Nationalsozialismus 2022 in Hildegard-Hamm-Brücher-Steg umbenannt wurde.

Am Krekel
Während heute entlang der Straße Am Krekel städtische Dienstleistungsbetriebe zu finden sind und in den letzten Jahren ein großes medizinisches Zentrum entstanden ist, befanden sich auf diesem Gebiet zwischen 1930 und 1973 einfache Steinbaracken, in denen circa 200 Personen ohne Wohnung lebten. Man erreichte die Siedlung über einen beschrankten Bahnübergang am Südbahnhof, neben dem ein Kiosk stand – heute befindet sich dort ein Fahrradabstellplatz. Die Stadtschrift „Erinnerungen an einen vergangenen Ort: Die Siedlung am Krekel in Marburg“ von Christina Hey, Ursula Mannschitz und Hartmut Möller erzählt die Geschichte dieser Siedlung und der Menschen, die dort wohnten, mit vielen Berichten und Bildern ehemaliger Bewohner*innen und Beiträgen von Zeitzeug*innen (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur Band 118, 2023). Der Stolperstein zum Gedenken an Heinrich W. Schäfer in der Einfahrt zum städtischen Servicehof Am Krekel 17–21 zeugt von der Not und zum Teil tödlichen Bedrohung, der die Bewohner*innen in diesem sozialen Brennpunkt ausgesetzt waren (Stolpersteine – Steine gegen das Vergessen, geschichtswerkstatt-marburg.de).


Bauplanung der Stadt Marburg

Einige Betriebe im Viertel werden oder sind z. T. schon länger geschlossen, stillgelegt oder auch bereits abgerissen. Mit diesen Flächen bietet das Viertel besonders entwicklungsfähige Areale. Es gibt dazu bereits konkrete Pläne für ein neues Wohn- und Gewerbegebiet rund um das Stadtbüro, eine Bauplanung für das alte Molkereigelände und ein Entwicklungsprojekt für das Temmler Areal.
Die folgenden Abbildungen sind der Präsentation des Runden Tischs der Universitätsstadt Marburg „Preiswerter Wohnraum“ (Stadt Marburg 29.01.2024) entnommen.

Übersicht über die im Quartier zurzeit geplanten Bauvorhaben

Areal Alte Molkerei an der Frauenbergstraße

Das Bebauungsplanverfahren „Alte Molkerei“ läuft seit März 2023. Der Plan sieht Wohngebäude mit gewerblichen Strukturen und die verkehrliche Erschließung der westlichen Frauenbergstraße (Sackgasse) vor.

Areal rund um das Stadtbüro


Im Bebauungsplan Franz-Tuczek-Weg, Cappeler Straße und Frauenbergstraße (Sparkasse) ist der neue Sparkassen-Hauptsitz geplant in Verbindung mit Wohnbebauung im Norden und einem städtischen Verwaltungsneubau im Süden sowie einem Quartiersplatz an der Frauenbergstraße

Der Bebauungsplan ist seit Januar 2021 in Aufstellung, seine Fertigstellung ist für 2024 geplant.

Areal Temmlerstraße

Das Bebauungsplanverfahren „Temmlerstraße“ sieht die Planung neuer Wohnungen mit Kita und Schule sowie gewerblichen Strukturen in verschiedenen Bauabschnitten vor. Das Verfahren zur Aufstellung eines Bauplanes läuft.

Im Rahmen einer Perspektivwerkstatt der Stadt Marburg am 20.04. 2024 wurden interessierten Bürger*innen städtebauliche Entwürfe für das Areal vorgestellt und in Arbeitsgruppen diskutiert. Die Ergebnisse werden auf der Webseite der Stadt veröffentlicht. Ein Folgeworkshop ist für September 2024 angekündigt worden.

Auf dem Gelände der alten Molkerei sollen etwa 120 Wohneinheiten entstehen, im Dreieck am Stadtbüro sind 100 Wohneinheiten geplant und auf dem Temmler-Areal können bis zu 500 Einheiten entstehen. Zusätzlich ist die Verlegung des Technischen Hilfswerks von der Molkereistraße nach Cappel in der Diskussion. Das dann freiwerdende Gelände bietet zusätzlichen Platz für weiteren neuen Wohnraum.
So wird sich die Zahl der Einwohner*innen im Quartier Südbahnhof zukünftig vermutlich verdoppeln, von aktuell etwa 1500 auf später circa 3000 Personen.

Bahnhof und Mobilität

Der Südbahnhof ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im ÖPNV. Im Rahmen des Projektes MoVe35 soll u. a. die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs gesteigert werden. Neben einer verbesserten Taktung der Stadt- und Überlandbusse an den bereits bestehenden Haltepunkten ist die Anbindung des Südbahnhofs an eine neue Linie vom Hauptbahnhof über die Lahnberge mit Oberleitungen und elektrifizierten Bussen geplant. Das kurz „BOB“ genannte Projekt soll mit Fördermitteln finanziert werden, wird aber noch kontrovers diskutiert.
Im Jahr 2020 wurde seitens der Stadt die geplante Modernisierung des Bahnhofs gemeinsam mit der Deutschen Bahn Station und Service AG, dem Land Hessen und dem Rhein-Main-Verkehrsverbund mit Bürger*innen-Beteiligung bekannt gegeben (marburgmachtmit.de, wer denkt was GmbH static.werdenktwas.de). Start der Umsetzung sollte zunächst 2023 sein, danach wurde der Umbaustart für 2024 angekündigt, aktuellere Informationen liegen mit Stand März 2024 noch nicht vor. Geplant sind die Verlegung der Bahnsteige, Barrierefreiheit durch Aufzüge und erhöhte Bahnsteige sowie Leiteinrichtungen für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung (Online-Dialog Marburg aktuell, marburg.de 2020).
Die IQS hat mit einer Demonstration in 2023 auf die ungenügende Verkehrssicherheit des Hildegard-Hamm-Brücher-Stegs am Südbahnhof und dessen dringend notwendige Verbesserung hingewiesen (→Demo). Die Brücke wird sowohl für den Zugang zu den Bahngleisen und für den Weg in die Stadt als auch als Verbindung zum Lahnradweg genutzt. Eine weitere Radwegstrecke führt vom Südbahnhof entlang der Bahnlinie über das Industriegebiet Am Rudert in Richtung Cappel, Ebsdorfergrund und Niederweimar.
Man darf gespannt sein, wann und wie die Modernisierung des Südbahnhofs mit den konkreten Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer*innen realisiert werden wird.